GENTECHNIK - einfach GENial ?!?

  1. Risiken und Gefahren der Gentechnologie
  2. Novel-Food-Verordnung (EG)
  3. Was besagt die Novel-Food-Verordnung?
  4. Verabschiedung eines neuen Entwurfs durch das Europäische Parlament am 12.03.96
  5. Literatur


Risiken und Gefahren der Gentechnologie

Es gibt fast keine Gründe, gentechnische Manipulation an Lebensmitteln durchzuführen, außer dem wirtschaftlichen Aspekt der Zeit- und Kostenersparnis. Gegen Gentechnologie im Lebensmittelbereich spricht allerdings bestechend viel.

Welche Wechselwirkungen ein genmanipulierter Organismus mit anderen Lebewesen eingehen kann und welche Veränderungen sich im Ökosystem daraus ergeben können - das läßt sich allenfalls abschätzen und so zuverlässig voraussagen wie das Wetter der nächsten Woche. Einmal in der Natur freigesetzte Organismen lassen sich nicht wie eine Chemikalie wieder einsammeln. Im Gegenteil: Sie sind vermehrungsfähig und ohne natürliche Feinde.

Gesundheitliche Aspekte

* Gentechnisch veränderte Lebensmittel bergen aufgrund veränderter Eiweißzusammensetzungen Allergierisiken. Außerdem wird es immer schwieriger für Allergiker/innen, "ihr" Allergen zu meiden, z.B. bei der Genübertragung von Erdnüssen auf Weizen bzw. von Sojabohnen und Paranüssen.
* Insektenresistent gemachte Lebensmittel (z.B. Tomaten) stellen in ihren Zellen ein Gift her, das für den jeweiligen Schädling tödlich wirkt. Nun ist die Pflanze selbst zum "Pestizid" geworden. Genau diese Pflanzen nimmt der Mensch schließlich als Nahrung zu sich.
* Genmanipulierte Organismen können mit der Rachen- und Darmflora Erbmaterial austauschen (Gentransfer), die Konsequenzen lassen sich nicht voraussagen.
* Es ist nicht vorauszuberechnen, an welcher Stelle ein fremdes Zusatz-Gen in das Erbgut des "Empfänger"organismus eingebaut wird. Je nachdem, wo das geschieht, können ungewollte genetische Aktivitäten ausgelöst werden. Auch hier sind die Folgen unbekannt.
* Oft beschränkt sich der durch Gen-Transfer gewollte Effekt nicht auf den gewünschten Stoffwechselweg und es können sich weitere Stoffwechselwege ausbilden. Dabei können hochgiftige "Mykotoxine" oder Antibiotika entstehen, welche bereits bei der konventionellen biotechnischen Enzymherstellung gefürchtet sind.

Ökologische Aspekte

* Herbizidresistent gemachte Pflanzen können ihre Gene an Unkräuter weitergeben, welche dann nicht mehr mit den bisherigen Mitteln zu bekämpfen sind. Neue Herbizide müssen entwickelt werden.
* Neue herbizid- und pestizidresistente Hochleistungspflanzen könnten sich massiv ausbreiten und so Wildkräuter und andere Kulturpflanzen verdrängen, was zu einer genetischen Verarmung und Einschränkung der Artenvielfalt führen würde.
* Herbizidresistente Pflanzen können noch mehr und aggressivere Herbizide vertragen. Ökologische Folgeschäden werden noch weiter erhöht (evtl. Grundwasserkontamination).

Aspekte in der Landwirtschaft

* Der gekoppelte Verkauf von Herbizid und resistentem Saatgut fördert die Abhängigkeit der Bauern von der chemischen Industrie und benachteiligt finanziell schwächere Kleinbauern. Dies hat einen ungeahnten Strukturwandel der Landwirtschaft zur Folge.
* Durch die Lebensmitteltechnologie wird sich die Wettbewerbsverzerrung zwischen den sogenannten Entwicklungsländern und den Industrieländern noch stärker ausprägen. Der Landwirtschaft in den armen Ländern wird die Lebensgrundlage entzogen bzw. sie macht sich noch mehr abhängig von den Industrieländern.

Novel-Food-Verordnung (EG)


Am 23.10.95 hat der EU-Minister/innenrat, bestehend aus den Landwirtschaftsminister/innen der EU-Mitgliedsländer, auf Vorschlag der EU-Kommission die Novel-Food-Verordnung verabschiedet. Dieser endgültigen Fassung gingen drei Jahre Diskussion und einige Änderungen durch das Europäische Parlament voraus. Der Rat glaubte, nun "ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Standpunkten" gefunden zu haben. Am 12. März 96 hat das Europäische Parlament in seiner 2. Lesung diese Novel-Food-Verordnung neu beraten und in den Vermittlungsausschuß weitergereicht.

Was besagt die Novel-Food-Verordnung?


Mit dem Wissen all der oben genannten Argumente zu den Risiken, Gefahren und Folgen der gentechnischen Manipulation von Lebensmitteln wurde am 23.10.95 vom EU-Ministerrat die Novel-Food-Verordnung mit folgendem Inhalt verabschiedet:

Kennzeichnungspflichtig

Sie sieht bis auf wenige Ausnahmen die Kennzeichnungspflicht von sogenannten substantiell veränderten Lebensmitteln vor. Darunter fallen sämtliche Produkte, die sich im Endprodukt in signifikanter Weise von den gleichwertigen herkömmlichen Lebensmitteln unterscheiden.

Beispiele dafür sind:
* Haltbar gemachtes Obst und Gemüse, das zwar für die Verbraucherin und den Verbraucher noch frisch aussieht, aber zum Beispiel vom Nährstoffgehalt völlig normal gealtert ist (z.B. Tomate),
* Produkte, die durch gentechnische Manipulation eine veränderte Produktzusammensetzung haben (z.B. erhöhten Zucker- oder Vitamingehalt),
* Produkte mit gentechnisch veränderten lebenden Organismen (z.B. Kulturen in der Joghurt).

* Extra eingegangen wurde hier auf den ethischen Aspekt: Sollten in einem Lebensmittel Substanzen sein, die in dem herkömmlichen Produkt nicht vorhanden waren und gegen die "ethische Vorbehalte" bestehen, muß dies gekennzeichnet (etikettiert) werden. Als Beispiel sei hier ein mögliches Schweinegen im Rindfleisch genannt, wovon Menschen islamischen Glaubens betroffen wären.

Ebenfalls kennzeichnungspflichtig sind laut Novel-Food-Verordnung diejenigen Stoffe in Produkten, "die in bestehenden gleichwertigen Lebensmitteln nicht vorhanden sind und die Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen beeinflussen können". Unter diesen Absatz würden die allergieauslösenden Gene fallen, die zum Beispiel eine veränderte Eiweißzusammensetzung von Produkten verursachen können.

Nicht kennzeichnungspflichtig

Sie sieht keine Kennzeichnung von sogenannten substantiell äquivalenten Lebensmitteln vor. Bei diesen Produkten liegt keine unmittelbar im Endprodukt erkennbare Veränderung vor.

Hierzu zählen zum Beispiel:
* Hefen in Brot oder Bier,
* Enzyme (z.B. die Verwendung von Chymosin zur Käseherstellung),
* agronomische Maßnahmen, wie die durch Genmanipulation erreichte Schaffung von Kälte- oder Herbizidresistenz von Lebensmitteln.

Das Enzym Chymosin ist ein zwingend notwendiger Wirkstoff für die Herstellung von Käse, der traditionell aus dem Labmagen des Kalbes gewonnen wird. Seit einigen Jahren ist die Verwendung des gentechnisch hergestellten Chymosins zur Käseherstellung in Frankreich, England, Italien, Spanien, der Schweiz und den USA schon erlaubt. In den Niederlanden darf das Chymosin gentechnisch hergestellt, aber nicht zur Käseherstellung verwendet werden. Zwar ist in Deutschland die Nutzung von gentechnisch verändertem Chymosin nicht erlaubt, aber unabhängig davon darf ausländischer Chymosin-Käse hier schon seit einiger Zeit ohne Einschränkung vertrieben werden.

Weiterhin gilt keine Kennzeichnungspflicht für alle aus mehreren Zutaten zusammengesetzten Produkte. Hierzu nimmt die Novel-Food-Verordnung nicht konkret Stellung und bedarf dringender Überarbeitung. Zusammengesetzte Produkte, die also teilweise aus gentechnisch veränderten Lebensmitteln bestehen, unterstehen damit nicht der Kennzeichnungspflicht. Beispiele hierfür wären Ketchup und in der Fabrik hergestellte Bratlinge.

Verabschiedung eines neuen Entwurfs durch das Europäische Parlament am 12.03.96


Am 12. März 96 hat das Europäische Parlament in seiner 2. Lesung einen neuen Entwurf verabschiedet, der die bisher vom EU-Minister/innenrat beschlossene Novel-Food-Verordnung vom 23.10.95 entscheidend verändern würde.

Nach diesem Entwurf besteht kennzeichnungspflicht bei all den veränderten Lebensmitteln, bei denen Chemiker/innen einen Unterschied zum Original nachweisen können. Danach wären im Gegensatz zur Novel-Food-Verordnung vom 23.10.95 sowohl die Produkte mit Enzymzusatz kennzeichnungspflichtig (z.B. Chymosin im Käse) als auch die agronomisch veränderten (siehe oben). Das heißt aber gleichzeitig, daß der aus gentechnisch behandelten Zuckerrüben hergestellte Zucker nicht mehr von dem "herkömmlichen" Zucker unterschieden werden kann, so daß weder der Gentechnik-Zucker als auch die mit diesem Zucker hergestellten Produkte (z.B. Marmelade, Ketchup) keiner Kennzeichnung bedürfen. Diese Regelung würde in etwa der alten Novel-Food-Verordnung entsprechen.

Kommentar

Natürlich gibt es sehr viele Gruppierungen und Verbände, die sich grundsätzlich gegen die Gentechnologie im Lebensmittelbereich aussprechen. Hierzu gehören u.a. Umweltverbände und Verbraucherinitiativen, aber auch die meisten Studierendenvertretungen, die die Verwendung gentechnisch manipulierter Lebensmittel in den Mensen zum Beispiel schon allein wegen der nicht abschätzbaren Risiken völlig ablehnen. Wenn allerdings die politischen Kräfte für die Gentechnologie im Lebensmittelsektor so groß sind, daß sie nicht verhindert werden kann, so wäre es das mindeste für die Verbraucherinnen und Verbraucher, eine komplette Kennzeichnungspflicht aller gentechnisch veränderten Lebensmittel in der Novel-Food-Verordnung festzuschreiben. Dabei sei angemerkt, daß es außer wirtschaftlichen Interessen der Industrie keinerlei Gründe gibt, auf eine ausnahmslose Kennzeichnungspflicht zu verzichten, da die Akzeptanz in der Bevölkerung bisher noch sehr schlecht ist. In Deutschland sprechen sich in verschiedensten Umfragen etwa 80 % der Bevölkerung gegen gentechnisch manipulierte Lebensmittel aus.

Sehr interessant ist noch, daß in der Novel-Food-Verordnung zwar einerseits die unabschätzbare Gefahr von gentechnischer Veränderung in Lebensmitteln fast gänzlich ignoriert wird, andererseits aber einzelnen Ländern die Möglichkeit eingeräumt wird, den Handel dieser Lebensmittel auszusetzen, falls "die menschliche Gesundheit oder die Umwelt gefährdet" ist.

Was können wir tun?

Wir müssen einerseits unsere Blicke nach oben richten und erreichen, daß die Bundesregierung ein klares "Nein" zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln formuliert. Verglichen mit der Einstellung anderer europäischer Länder verhält sie sich zwar reservierter zur Gentechnologie im Lebensmittelbereich und hat deshalb der Novel-Food-Verordnung nicht zugestimmt, aber sie fordert eben nur die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel, jedoch nicht den Verzicht auf Lebensmittelgentechnik. Andererseits sollten wir in der Bevölkerung auf die Gefahren und Risiken der Gentechnologie im Lebensmittelsektor aufmerksam machen.

Konkrete Maßnahmen

Die Bundeskoordination Studentischer Ökologiearbeit (BSÖ) hat darauf hingewirkt, daß das Deutsche Studierendenwerk (DSW) auf seiner Mitgliederversammlung eine Resolution verabschiedet hat, in der die Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufgefordert werden, eine umfassende Kennzeichnungspflicht im Lebensmittelbereich zu fordern, "damit die einzelnen Studierendenwerke die Möglichkeit haben, auf gentechnisch manipulierte Produkte in ihren Wirtschaftsbetrieben gänzlich zu verzichten". Ein kleiner Erfolg im Kampf gegen die große Übermacht der Gentechnikbefürworter/innen.

Weiterhin fordern einige Studierendenwerke (in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen) eine Garantieerklärung von ihren Mensazulieferfirmen, daß diese keine gentechnisch veränderten Lebensmittel anliefern. Dies ist leider nur eine politische Maßnahme. Rechtlich kann man sich damit sicherlich nicht absichern, da durch die mangelnde Kennzeichnungspflicht auf Dauer kaum die gentechnische Manipulation an Lebensmitteln auszuschließen ist. Trotzdem hoffen wir, daß andere Studierendenwerke diesem Beispiel folgen, denn als größte Essensanbieter Deutschlands mit einem Umsatz im Verpflegungsbereich von insgesamt über 700 Mio. DM stellen sie eine nicht zu verachtende Lobby dar und können vielleicht einige PolitikerInnen überzeugen.

Es besteht die große Gefahr, daß die übermächtige Industrie durch gezielte Werbekampagnen die bisherige große Skepsis der Bevölkerung, die zu ca. 80 % gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnt, Jahr für Jahr abschwächt und die Akzeptanz der Bevölkerung immer mehr zunimmt. Die VerbraucherInneninitiativen und Umweltverbände werden mit ihren verhältnismäßig geringen Finanzmitteln nicht die Möglichkeiten haben, mit kritischer Aufklärung dagegen zu halten, zumal es sehr schwer sein wird, dieses so komplizierte Thema mit sachlichen Argumenten für die Bevölkerung und eben auch die Studierenden verständlich zu machen.

Trotzdem wäre ein bundesweiter Gentechniktag in den Mensen in diesem Zusammenhang sicherlich eine Idee, der man nachgehen sollte.

Wie geht es
politisch weiter?

Der neue Entwurf des Europäischen Parlaments vom 12. März 96 wird nun in einen Vermittlungsausschuß gehen, der einen Kompromiß mit dem EU-Minister/innenrat finden muß. Noch hat das Europäische Parlament nicht komplett nachgegeben. Bleibt zu hoffen, daß wenigstens der neue Entwurf in weiten Teilen Zustimmung findet. Eine Lösung sollte jedoch bald kommen, da sonst die Politik von der Praxis überholt wird und die Industrie gentechnisch veränderte Produkte in dem sogenannten rechtsfreien Raum auf den Markt bringt. Von einem Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Lebensmittel hat das Europäische Parlament allerdings jetzt endgültig Abstand genommen.

Wenn die politische Ausrichtung bezüglich der Gentechnologie sich in nächster Zeit nicht deutlich ändert und die Lobby der Industrie sich - wie so oft - durchsetzen wird, werden wir uns gegen den "Genuß" von GENialen Lebensmitteln kaum wehren können. In Deutschland spielt die Genmanipulation im Lebensmittelsektor zwar bisher eine recht geringe Rolle, aber bereits in wenigen Jahren könnte sie auch auf unserem Markt massiv Einzug halten.

Literatur:


Broschüre "Schlaraffenland aus dem Labor?" der Verbraucherzentralen Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemburg, Hamburg
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften: "Novel-Food-Verordnung"

(siehe auch Literaturliste unter Gentechnik)

André Obermeier

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